From: Colin Roß, Unser Amerika, 1936
Der Verkäufer hinter dem Ladentisch war ein dunkelhäutiger Mexikaner, aber auf meine deutsch vorgebrachte Frage antwortete er, wenn auch gebrochen, deutsch. Er lächelte sich entschuldigend und meinte, er sei noch nicht sehr lange in Neu-Braunfels, mit der Zeit würde er es schon besser lernen. Mein Versuch ist tatsächlich gelungen: ich habe hier grundsätzlich nur deutsch gesprochen und überall deutsche Antworten bekommen. Neu-Braunfels ist zusammen mit Fredericksburg und einigen kleineren Orten der Überrest eines letzten Versuchs, auf amerikanischem Boden einen deutschen Staat zu gründen. Er wurde sozusagen in letzter Minute unternommen. Nachdem es weder in Missouri noch in Wisconsin gelungen war, den Traum von einem deutschen Amerika auch nur auf einem begrenzten Gebiet zu verwirklichen, erkannte man die Unmöglichkeit, dies überhaupt auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten zu erreichen. Man sah sich daher um, wo in Amerika außerhalb der Staaten noch Platz sei. Viel war nicht mehr da. Mit dem Ankauf von Louisiana waren die Vereinigten Staaten im Süden bis unmittelbar an die spanischen Kolonien herangerückt, im Norden stießen sie an Oregon, das ein Zankapfel zwischen England und Amerika war, nachdem man die Russen glücklich nach Norden zurückgedrängt hatte. Da schienen der Sturz der spanischen Herrschaft, die Unabhängigkeitserklärung Mexikos und die bald darauf erfolgende Erklärung einer unabhängigen Republik Texas den deutschen Kolonisations- und Staatsplänen neue Möglichkeiten zu eröffnen. Spanien hatte zwar die Grenzen seines amerikanischen Besitzes weit nach Norden vorgeschoben und in Santa Fe den Sitz eines Gouverneurs geschaffen. Es hatte die ganzen riesigen Ländereien nördlich des Rio Grande aber nie ernsthaft besiedelt oder auch nur wirklich in Verwaltung genommen. Wie jetzt die spanische Herrschaft zusammenbrach und in der jungen mexikanischen Republik alles drunter und drüber ging, sah man, daß das ganze ungeheuere Gebiet eigentlich herrenlos war. Das Beispiel von Texas hatte gezeigt, daß es dem gehörte, der es sich nahm. Ein paar entschlossene amerikanische Siedler und Abenteuerer hatten es fertiggebracht, die mexikanischen Truppen zu schlagen, den Präsidenten Mexikos gefangenzunehmen und von ihm die Anerkennung ihrer Unabhängigkeit zu erpressen. Was in Texas gegangen war, mußte auch anderswo möglich sein. Aber auch Texas selbst schien ein guter Platz für deutsche Kolonisationspläne. Die mexikanische Regierung hatte die Abtretung von Texas nicht anerkannt, und auch der Präsident St. Anna selber hatte sie, in seine Heimat zurückgekehrt, als unter Zwang erfolgt widerrufen. Auf der andern Seite hatte aber auch die amerikanische Union diese neue Republik nicht in ihren Verband aufgenommen. Die Texaner mußten in dieser Lage über jede Verstärkung froh sein, einerlei von wo sie kam, und für etliche zehntausend entschlossene deutsche Männer schien sich hier eine große Möglichkeit zu ergeben. Von zwei Seiten suchte man sie zu verwirklichen, einmal von seiten der Deutschen in Amerika, zum andern von Deutschland selbst aus. Es gab in Texas bereits ein paar kleine deutsche Siedlungen, von denen die am Colorado River noch unter mexikanischer Regierung gegründet worden war. Eine andere war das Städtchen "Industry", das sich sehr erfolgreich zu entwickeln versprach. So wurde in New York die Gesellschaft Germania gegründet mit der Absicht, in Texas eine deutschamerikanische Kolonie zu errichten. Im Jahre 1834 landeten die ersten Gruppen der von der Germania entsandten Siedler. Doch sie kamen nicht weit, bereits in Houston löste sich die Gesellschaft auf. Die wohlhabenderen Mitglieder kehrten nach New York zurück, die übrigen wurden ihrem Schicksal überlassen. Das war weiter nichts Ungewöhnliches. Ein derartiges Ende ist von je das Los vieler Kolonisationsversuche in Gesellschaftsform gewesen, bis in unsere Tage. Gerade die Küste des Golfs von Mexiko ist gepflastert mit den Gräbern von Siedlern, die auf Grund falscher Schilderungen und Versprechungen hierher gelockt und dann ihrem Schicksal überlassen worden waren. Um ein Haar hätte der zweite, wesentlich ernsthaftere und im größeren Stil von Deutschland aus unternommene Versuch das gleiche Ende erlitten. |
Dieses Kolonisationsunternehmen, der "Mainzer Adelsverein", unter welchem Namen es in die Geschichte einging, ist eins der seltsamsten, romantischsten und in gewissem Sinn geheimnisvollsten, die je ins Werk gesetzt wurden. Der Gründer dieses Vereins, der richtiger der "Fürstenverein" hieße - denn es waren in erster Linie Prinzen und Fürsten, die ihm angehörten -, war ein Graf von Castell, der als österreichischer Offizier in der Festung Mainz in Garnison stand. Er hatte viel von Texas gelesen. Gerade um diese Zeit war eine ganze Reihe Bücher erschienen, die in romantischer Weise von dem neuen Staat an dem fernen mexikanischen Golf erzählten und von seinen abenteuerlichen Kämpfen um Unabhängigkeit. Der Offizier, den der ewig gleiche Garnisondienst langweilte, hatte sie mit heißen Augen verschlungen, und ein großartiger Gedanke war in ihm aufgestiegen. Er zögerte nicht lange mit der Ausführung. Am 20. April 1842 lud er den Herzog von Nassau, dessen Adjutant er einmal gewesen war, den Fürsten von Leiningen, den Fürsten von Solms-Braunfels und noch eine ganze Reihe von Fürsten, Prinzen und Grafen zu einer Flasche Wein nach Biebrich ein. Was diese hochadligen Herrn da eigentlich besprochen haben, als sie beim Rheinwein saßen und auf den alten deutschen Strom blickten, das hat niemand erfahren. Nach außen trat das Ergebnis ihrer Beratungen lediglich als Gründung eines neuen Vereins in Erscheinung, der sich den harmlosen und wenig aufregenden Namen beigelegt hatte: "Verein zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas." Nach außen wurde auch weiterhin der Schein aufrechterhalten, daß es sich um ein Wohltätigkeitsunternehmen handele. Daß man jedoch zum mindesten auch an wirtschaftlichen Gewinn dachte, geht aus den gezeichneten hohen Summen hervor sowie aus der Bestimmung, daß achtzig vom Hundert der zu erwartenden Einnahmen unter die Teilhaber verteilt werden sollten. Es besteht kaum ein Zweifel, daß man im geheimen viel weitergehende Pläne hatte, auch wenn man öffentlich verkündete, daß jede spekulative oder politische Absicht fernliege. Der Gedanke der Gründung eines deutschen Staates lag damals in der Luft. Warum sollten auch wir Deutsche von den Reichtümern der Neuen Welt ausgeschlossen sein und höchstens unter einer fremden Flagge daran teilnehmen dürfen! Außerdem: warum sollten die Prinzen und Grafen, die kein Fürstentum in Deutschland besaßen, sich nicht ihr eigenes Reich drüben in Amerika gründen! Diese Absicht findet man zwar nirgends ausgesprochen, wenn man aber in der Sofienburg von Neu-Braunfels, die nach der Gattin des Fürsten ihren Namen trägt, alte Erinnerungen und Bilder durchstöbert, so ergibt sich, daß der Fürst von Solms-Braunfels zum mindesten den Versuch gemacht hat, auf texanischen Boden eine fürstliche Hofhaltung und sogar eine fürstliche Leibgarde zu verpflanzen. Der Fürst von Solms fiel damit in keiner Weise aus dem Rahmen. Seine Mitauswanderer waren, wenn auch nicht so hochadelig, so ebenso hochherrschaftlich. Der alte Farmer, in dessen Haus ich sitze, erzählte mir, daß sein Großvater 80 (achtzig!) feine weiße Oberhemden nach Texas mitgenommen hatte. Seine Großeltern brachten für ihre Kinder eine Gouvernante und einen Musiklehrer sowie einen Flügel mit! Der für die texanische Wildnis gänzlich sinn- und wertlose Plunder häufte sich am Strand von Indianola, an dem die ersten Siedler ausgeladen wurden. Indianola war ein leerer wüster Fleck. Die unglücklichen Siedler mit den weißen Oberhemden und dem Flügel lagerten da mit all ihren Kisten und Kasten, notdürftig durch Zelte und Hütten vor der Sonne geschützt. Sie waren noch gut dran; denn sie kamen wenigstens innerhalb von drei Monaten an ihren Bestimmungsort. Die späteren Transporte blieben zum Teil überhaupt liegen, ohne Geld, ohne Hilfsmittel, ohne Aussicht weiterzukommen und schließlich ohne irgend etwas zum Essen. In der Zwischenzeit war der Krieg mit Mexiko ausgebrochen. Die Regierung hatte alle Pferde, Zugtiere und Wagen beschlagnahmt. Der Gesellschaft war das Geld ausgegangen, zum mindesten war es nicht nach Texas gekommen. Selbst die Auswanderer, die von ihrem Vermögen erhebliche Summen überwiesen hatten, sahen sich völlig mittellos an den texanischen Strand geworfen. |
Es war mit dem "Mainzer Adelsverein" gegangen, wie es mit den meisten Kolonisationsgesellschaften zu gehen pflegt. Er war auf Schwindler hereingefallen, er hatte sich auf Landversprechen und Konzessionserteilungen verlassen, die dann nicht gehalten wurden. Er war nicht erfolgreich in seinen Käufen gewesen und nicht glücklich in der Wahl der Bevollmächtigten. Im März 1845 war man am Ufer des Comalflusses, an dem der Fürst Solms-Braunfels schließlich tausend Acker [der Autor meint: 400 Hektar] Land gekauft hatte, an die Gründung der neuen Stadt gegangen, die ihm zu Ehren Neu-Braunfels heißen sollte. Ein Teil der Siedler ging sofort ans Werk und bestellte die Felder, um noch im gleichen Jahr die Ernte zu sichern. Die andern hatten es nicht so eilig, sie schienen mit dem fürstlichen Generalkommissar der Gesellschaft die vorhandenen Mittel für unerschöpflich zu halten. Sie waren noch im selben Jahr zu Ende, und der Fürst von Braunfels kehrte nach Europa zurück. Der vorn Adelsverein an Stelle des Fürsten von Europa entsandte Nachfolger, ein Herr von Meusebach, war noch nie in Texas gewesen und hatte keinerlei Erfahrung, allein er war wenigstens ein energischer, tüchtiger Mann, der sofort für strengste Sparsamkeit in der Verwaltung sorgte. Er sicherte den Bestand von Neu-Braunfels und legte den Grund zu einer zweiten Siedlung, Friedrichsburg. Als Meusebach von Friedrichsburg nach Braunfels zurückkam, fand er Nachricht vor, daß der Adelsverein etliche weitere tausend Einwanderer abgesandt hätte. Er eilte nach Galveston, wo sie ankommen sollten, fand sie auch vor, aber ohne Geld und ohne alle Hilfsmittel. Der Verein der Fürsten und Grafen hatte nicht einen Pfennig überwiesen. Meusebach raste nach Neu-Orleans, um sich irgendwo Geld zu borgen und Transport- sowie Nahrungsmittel zu beschaffen. Ehe ihm aber das gelungen war, riß unter den deutschen Einwanderern die furchtbarste Not ein. Viele verhungerten buchstäblich. Männer, in Deutschland vermögende angesehene Leute, waren glücklich, wenn sie die niederste Arbeit verrichten durften, damit ihre Kinder und Frauen nicht verhungerten. Ein Teil ging zugrunde, ein Teil ließ sich für die Truppen anwerben, die in den mexikanischen Krieg zogen. Einige wenige gelangten bis Neu-Braunfels. Der Weg dorthin glich der Rückmarschlinie einer geschlagenen Armee. Weggeworfene Ausrüstungsstücke, die die Einwanderer nicht weiter hatten mitschleppen können, säumten den heißen Pfad. Kisten, Kasten, Betten, Kleider und Werkzeuge lagen im Staub. Gerippe und Gebeine bleichten in der heißen Sonne. In Neu-Braunfels selbst sah es kaum besser aus. Die Indianer waren unruhig geworden und bedrängten die Siedler. Die Ernte hatte nicht den Erwartungen entsprochen, Krankheit herrschte. Der eine Arzt, Dr. Köster, konnte nicht durchkommen. So viele starben ihm unter den Händen, daß man den Friedhof "Köster-Plantage" nannte. Wie es immer geht, wenn Not und Elend einen bestimmten Grad übersteigen, brach unter den anscheinend doch dem sicheren Tod und Untergang Geweihten eine letzte wilde Lebenslust aus. In einer baufälligen Bude war jeden Abend Tanz, der allmitternächtliche Totentanz. Zu dem schrillen Ton einer einzigen Klarinette tanzten da Gesunde und Kranke, sich einer letzten wilden Lust hingehend. Der Klarinettist war gleichzeitig der Totengräber, unter Tags begrub er die Tänzer, denen er in der vorhergehenden Nacht aufgespielt hatte. Aber schließlich ließen die Krankheiten nach, die Ernte wurde besser, die überlebenden Siedler konnten sich erholen, zumal der ungeregelte Zustrom immer neuer Kolonisten, für die nichts vorbereitet war, aufhörte. Der "Adelsverein" hatte seine wenig segensreiche Tätigkeit eingestellt und sich aufgelöst. Der Traum von einem deutschen Fürstentum in der texanischen Steppe war ausgeträumt. Die Siedler in Neu-Braunfels und Friedrichsburg aber blieben deutsch bis auf den heutigen Tag. Durchwandert man die hübschen sauberen Straßen dieser beiden Städtchen, will es einem unfaßbar erscheinen, auf wieviel Blut und Leid diese netten Häuschen und blühenden Gärten angelegt sind. |
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